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Projekt Ich

 

Deine Zeit ist gekommen! Mann, jetzt mach was aus dir!

Die Sanduhr läuft ab, hey, was sitzt du noch hier?

Hoch mit dem Hintern, hoch mit den Ärmeln,

geh hoch wie ne Rakete und greif nach den Sternen!

 

Auf in die Schlacht, Ruhm und Fame zu erwerben!

Mann, was hast du davon, mal als No name zu sterben?

Nur der hats gepackt, der Geschichte schreibt.

Denn was bleibt von dir, wenn von dir nichts mehr bleibt?

Wenn nach deiner Zeit deine Farbe verbleicht

und du am Ende das Ende des Laufstegs erreichst?

 

Und wenn unterm Gras deine Knochen verwesen,

kann man hoffentlich von dir in wikipedia lesen.

 

Denn wer nicht sau krass aufpasst,

nimmt in Kauf, dass

sein Gesicht auf die BILD nicht mehr draufpasst.

Also gib Max Mustermann den Laufpass

und schau, dass

du was aus dir machst.

Nur die Harten komm’n in‘ Garten.

Lass Usain Bolt auf nen Startschuss warten,

reiß DU dich los von der Masse, du brauchst nur durchzustarten.

Hol dir Gold, erste Klasse, raub der Masse den Atem.

Mach dein Gesicht zum Star, stell die Welt in den Schatten.

 

Schatten-Seite.
Hinter meinem schwarzen Bildschirm.

Mein PC ist runtergefahren.
Mein Clip ist hochgeladen, ist endlich im Netz.

In meinem Kopf so ein Dröhnen, ich leg mich aufs Bett

und wünsch mir, dass in den nächsten Augenblicken

tausende Fans in meine verpixelten Augen blicken,

dass diesen Clip Tausende klicken

und ich drück mir die Daumen, dass sie „Daumen oben“ drücken, weil – weil

weil ihre Klicks mir eben das Gefühl geben,

die Welt aus den Angeln zu heben und was zu bewegen.

Einfach, WER zu sein und

einfach – zu leben.

 

Ich will hoch zu den goldenen Sternen
und starre jetzt an die graue Decke.

Ich schließe die Augen, will mich einfach besinnen,

mein Blick zu den Sternen wird zum Blick nach tief Innen.

 

Und wieder diese Stimmen in mir drinnen,

die wieder beginnen mich zu fragen:
„Warum machst du, was du machst?
Was willst du gewinnen?“

 

Ich weiß, warum ich diese Stimmen verdränge,

sie treiben mich emotional in die Enge.

Aber jetzt lass ich’s zu, halte still, halte aus.

Und sie flüstern: „Sei ehrlich, was springt für dich raus,

außer ein High-Gefühl und ein Szenenapplaus?

Nein – kann es sein, dass du oft machst was du machst,

weil’s dir nicht passt,

was du bist und was du hast?
Und weil du es hasst,

dass man dich nicht in Zeitschriften findet,

hast du Angst, dass dein ICH in der Masse verschwindet?“

 

„Ist das nicht begründet?“, wende ich ein.

„Das ergibt für mich Sinn.
Denn: Wer bin ich – wenn ich ein Niemand bin?
Wer bin ich – wenn ich ein Niemand bin??
Ist es nicht besser, nach oben zu streben,

dem Leben vor den andern Bedeutung zu geben,

als mit 7 Milliarden Identitäten

zu einer namenlosen Masse zu verkleben?“

 

Aber die Stimme in mir lässt sich nicht irritieren.
Sie meint: „Dann viel Spaß! Du kannst nur verlieren.

Du wirst nie damit fertig, dein ICH zu polieren.

Du gibst dir den Stress, dein ICH zu profilieren,

aber läufst du da nicht Gefahr, zum Clown zu mutieren?

Wär‘ es nicht mega befreiend, die Masken zu lassen,

es zu lassen, Massen zu bespaßen

ohne Angst, die Identität würd‘ in der Masse verblassen?
Ohne Angst, dass dein einzigartiges ICH in der Masse verschwindet?

Hey, diese Angst ist unbegründet.
Denn dein ICH hast du nicht gemacht.
Gott hat’s gegeben.

Hör auf, dich zu beweisen – und fang an zu leben.“

 

Ich lieg auf dem Bett, spür mein Herz beben,
die Augen lass ich zu, mein Atem wird ruhig,
die Gedanken schweben.

Und heben ab

und geh’n zu dem, der mir Leben gegeben hat.

 

Und ich lasse mich einfach vom Vater umarmen,

weil ich weiß: Er liebt mich und kennt meinen Namen.

Wenn er wirklich jeden beim Namen rief,

dann gibt’s wohl kein anonymes Kollektiv!

Und wie kreativ von ihm, dass er es uns dadurch zeigt,

dass sein Einfallsreichtum noch immer reicht

und kein einziger Mensch einem anderen gleicht.

 

Kein Plan, ob ich schon träume, es ist so verrückt,

zu wissen: Ich bin ein Einzelstück.

Daumen hoch für diesen Künstler!
Weil auf diesen Fingerspitzen

Dinger sitzen, die sind

mein persönlicher Fingerprint.

Und wenn sie aus Milliarden einmalig sind,

sind sie dann nicht dazu bestimmt,

mir zu zeigen: Offenbar

nimmt mich oben jemand ernst und wahr.

 

Denn Masse entsteht, wenn der Einzelne verschwindet.

Und wirklich: Diese Angst ist unbegründet,

findet ER doch zwischen Billiarden Sternen

unsre winzig kleine Erde.

Er kennt jedes Atom, jede Ziffer von Pi.

Unser Gott verliert den Überblick nie.

Wächst auch die Menschheit über siebentausend Million,

schreibt Gott doch Geschichte. Mit jeder Person.

 

Ich komm wieder runter von meinem Höhenflug.

Und ich muss einfach staunen, wie gut es mir tut,

mich ganz tief innen auf ihn zu besinnen,

und ich beginne,

neue Perspektiven zu gewinnen.

 

Mein Bildschirm ist schwarz,
doch ich bin nicht allein.

Ich flüstere: „Danke Vater!“

Und schlafe ein.

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