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Der Märchenerzähler

 

Ich bin nur ein Bericht.
Doch du bist Märchenerzähler.

Feen biete ich nicht,
keine Schlösser und Täler.
 
Ich bin nur ein Bericht.
Doch du bist Heldenbeschwörer.
Wind von deinem Gesicht
weht durch tausende Hörer.

Deine Stimme pflanzt Eden.
Du malst Farben und Licht,
führst Gefühle an Fäden.
Ich bin nur ein Bericht.

Ja, ich weiß, mein ganzes Gut
ist wie Staub auf deiner Zunge.
Und eher quillt aus dir dein Blut
als mein Text aus deiner Lunge.
 
Bin ich nur ein Bericht?
Ich werd‘ dich staunen lehren!
Und als Dank will ich schlicht
deinen Atem stocken hören.
 
Vor deine Augen mit mir!
Halte mich wie einen Spiegel,
denn mit diesem Stoß Papier
brech ich deine sieben Siegel.
 
Erkennst du deine Werke wieder?
Fein zerstückelt – in der Tat!
Jedes deiner schönen Lieder,
jedes Gedicht – mein Präparat.
 
Dich deuten können stimmt mich milder,
Analyse ist mein Fetisch,
und die Wirkung deiner Bilder
wird bei mir erst theoretisch!
 
Dein Herzblut gab der Sprache Leben,
deine Kunst hat sie chiffriert.
Meine Kunst – den Schatz zu heben:
Ihr Genom ist decodiert.
 
Schufst du mit deinen Hexereien
einen bunten Zauberwald,
wusst‘ ich, es staunen nur die Laien,
- und die Zauberformel bald.
 
Ja, ich bin nur ein Bericht,
der – hierin werd‘ ich dreister –
den Meister als „Metier“ anspricht.
Und so werd‘ ich des Meisters Meister.

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