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Eine besondere Rede

 

 

 

Die Zeit der Ernte war beendet,
das Korn verstaut, das Heu gewendet,
die Bauern banden ihre Garben,
der Herbst erstrahlte in tausend Farben,
da feierte ein reicher König
(denn Landgut hatte er nicht wenig)
ein großes Fest zum Jahresende.
Die Untertanen aller Stände,
Adel, Klerus, auch die Ritter,
Musiker mit Zink und Zither
für die musikalische Gestaltung,
Narren für die Unterhaltung –
auch Bauern waren reich vertreten,
keiner war hier ungebeten –
erfreuten ihn mit der Präsenz
auf seiner Sommerresidenz.

 

Nun war es seit Jahren schon
eine gute Tradition,
dass nach Tanz und viel Musik
der Adel das Podest bestieg;
und jeder Fürst und Adelsmann
(mit dem Höchsten fing man an)
hielt eine Rede. - Das Niveau:
Lyrisch, edel, eben so,
dass man heute noch berichtet,
es wurde exzellent gedichtet!
Sie gehörn zum guten Ton,
die Ansprachen in Perfektion.

 

Da stutzte jene Hörermenge,
Raunen stieg auf, ein Gedränge,
denn dort kam ein Bauersmann
oben bei der Kanzel an!
Das Raunen klang nach diesen Fragen:
Was kann der da uns schon sagen?
Wird sein Wortschatz nicht zu klein
für eine Königsrede sein?
Doch der Bauer, ungestört,
sagte lächelnd das Wort: „Hört!“
Und auf eindrucksvolle Weise
wurde die Gesellschaft leise. 

 

Und durch dieses leise Lauschen
hörte man die Bäume rauschen,
das Rasseln vieler bunter Blätter,
wie der Wind bei goldnem Wetter
durch verspielte Zweige strich,
wie die Winde schließlich sich
übers Feldermeer bewegten,
sich die Halme tanzend regten;
das Bachgeplätscher war zu hören,
Gezwitscher von den Schwalbenchören,
die über diese Menge flogen,
weil sie in den Süden zogen
und einen Abschiedsgruß entzückten
Menschen dort weit unten schickten.

 

Der König sagte gleich darauf,
und dabei stand er lächelnd auf:
„Von allen Reden dieser Feste
war die des Bauern hier die Beste!“

 

 

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Eine besondere Rede -
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