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Das rote Gericht

 

Wenn mich nach dem langen Jagen
Müdigkeit und Schmerzen plagen
und der Frust mich beinah frisst,
weil Glaube schwer zu fangen ist,
umweht ein Lächeln mein Gesicht,
wenn ich im roten Abendlicht
die Zelte und die Menschen sehe,
wenn ich schließlich so weit gehe,
so weit hinke, bis mich meine
wunden Füße, tauben Beine
trotzig in die Wiese schmeißen,
ich den Köcher von mir reißen,
liegen, nur noch liegen will –
verschnaufend, keuchend, still, ganz still,
sodass ich von den Zelten her
das Lachen hör und immer mehr
die Jagd in mir ein Ende findet,
meine Vorsicht ganz verschwindet,
wenn dann in dem Stimmenwind
Düfte eingewoben sind,
die mich plötzlich überraschen
wie ein Netz mit tausend Maschen
heißer, himmlischer Gewürze,
in die ich mich hilflos stürze
wenn mein Körper es dann schafft –
aus eigner oder fremder Kraft? –
dem Duft zu folgen, der mich schier
verrückt macht wie ein wildes Tier
und wenn ich endlich Nahrung sehe,
vor dem Topf mit Linsen stehe –
Linsen! Und die heiße Soße!
Wie es brodelt! Herrlich große
Blasen, die zerplatzen, spritzen,
dass ich, um mein Gesicht zu schützen,
lachend beide Hände hebe –
wenn ich mich dann so ergebe
und der Koch dann grinsend meint,
Ich hätte Hunger, wie ihm scheint,
auf dieses rote Hauptgericht,
wenn ich dann höre, dass ich nicht
umsonst bekomme, was ich brauch
und schrecklich will und schließlich auch
so nötig hab zum überleben
und dann frag, was ich denn geben
könne – so als fairen Tausch –
und wenn mich dann aus meinem Rausch
aus diesem reizvoll schönen Bann
der Preis reißt, den ich geben kann:
die Erstgeburt, den Vatersegen,
d i e  muss ich nur niederlegen,
um den Handel abzuschließen,
um zu schwelgen, zu genießen –
Dann reiß ich mich los und gehe!
Wenn ich jetzt nicht widerstehe,
wird sie kommen, diese Zeit,
in der ich nüchtern bin, bereit
die eigne  S e e l e  abzulegen
für Erstgeburt und Vatersegen,
ich werde auf die Knie gehen
kreischen, brüllen, heulen, flehen
wie ein Folteropfer fleht.
Dann ist es aber längst zu spät.

 

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Vgl. 1.Mose 25,29-34

Vgl. Hebräer 12,16-17

Vgl. 2.Timotheus 2,22

 

 

Das rote Gericht -
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